Philipp Franz von Siebold (1796-1866)
Die Bedeutung von Carl Caspars berühmtem Enkel Philipp Franz von Siebold beruht weniger auf seiner Tätigkeit als Arzt, als vielmehr auf seiner Bedeutung als Vermittler Japans in der westlichen Welt. Doch hat er als Lehrer gerade auch des medizinischen Wissens seiner Zeit auf die Entwicklung der westlichen Medizin in Nippon entscheidenden Einfluss genommen.
Beim Tod seines Vaters gerade einmal zwei Jahre alt, wuchs Philipp Franz von Siebold bei einem Onkel in Heidingsfeld auf und besuchte anschließend Schule und Universität in Würzburg. Als Medizinstudent wohnte er beim Anatomieprofessor Ignaz von Döllinger und hatte dort Gelegenheit, sich intensiv mit anatomischen Präparations- und Färbetechniken vertraut zu machen. Ein Stammbuchblatt aus dem Jahr 1815 zeigt jedoch, daß Siebold als Mitglied des Corps Moenania auch den Freuden des Studentenlebens nicht abgeneigt war. Der glänzenden Promotion durch die medizinische Fakultät folgten zwei Jahre privatärztlicher Tätigkeit in Heidingsfeld bei Würzburg.
1822 entschloss er sich, als Stabsarzt der Niederländisch-Ostindischen Armee nach Japan zu gehen. Das war damals durchaus üblich: Selbst der spätere Würzburger Professor Johann Lukas Schönlein hatte diesen Gedanken erwogen. Durch Vermittlung des Generalinspektors des niederländischen Militär-Sanitätswesens Joseph Harbaur (+1824), eines Schülers seines Großvaters, ließ sich das Vorhaben verwirklichen. Obwohl Siebold trotz der ausgezeichneten Ausbildung, die er in Würzburg genossen hatte – unter anderem bei seinen Onkeln Barthel und Adam Elias – wenig Berufserfahrung mitbrachte, eilte ihm ein großer Ruf voraus. Das Vertrauen der japanischen Behörden ermöglichte ihm, sich entgegen den üblichen Bestimmungen auf bestimmten Wegen innerhalb Nagasakis frei zu bewegen. Durch das Entgegenkommen zweier „Dolmetscher-Ärzte“ konnte er in Narutaki am Stadtrand von Nagasaki ein Haus erwerben und und Schüler unterrichten.
Japanische Berichte über Staroperationen und Pockenschutzimpfungen, Rezepte mit Arzneimittelverschreibungen und Siebolds Instrumente zeugen von seiner ärztlichen Tätigkeit. Noch auf seiner zweiten Reise 1859-62 musste er, so berichtet sein Sohn Alexander, japanische Patienten behandeln, obwohl er jahrzehntelang nicht mehr praktiziert hatte. Siebold nutzte die Kontakte, die ihm seine ärztliche Tätigkeit ermöglichte, um naturkundliche und landeskundliche Studien zu betreiben und Material aus allen Teilen des Landes zu sammeln. Dieses Bestreben wurde ihm 1828 zum Verhängnis: Durch einen Zufall erfuhren die Behörden, dass der europäische Arzt ihr Vertrauen missbraucht und verbotene Gegenstände, darunter ein Prunkgewand des Shoguns und eine Karte in seinen Besitz gebracht hatte. 1829 wurde Siebold daher des Landes verwiesen.
Als Siebold 1829 nach Europa zurückreiste, ließ er nicht nur viele Freunde, sondern auch seine japanische Frau und sein zweijähriges Töchterchen in Nagasaki zurück. Die folgenden Jahre widmete er der Bearbeitung seiner Sammlungen: Rund fünfzehn Jahre dauerte es, bis die ungeheure Menge an botanischen, zoologischen und landeskundlichen Objekte, die wohlverpackt in Leiden eingetroffen waren, geordnet, katalogisiert und publiziert war. Dem bald nach dem Erscheinen ins Niederländische, Französische und Russische übersetzten Hauptwerk „Nippon. Archiv und Beschreibung von Japan und dessen Neben- und Schutzländern nach japanischen und europäischen Schriften und eigenen Beobachtungen bearbeitet“, stehen zwei sorgfältig illustrierte Bände „Flora japonica“ und „Fauna japonica“ zur Seite. Diese Publikationen machten die westliche Welt erstmals genauer mit dem fernen, geheimnisvollen Japan vertraut und prägten lange Zeit das europäische Japanbild. Neben seiner Forschungstätigkeit nahm Siebold regen Anteil an der politischen Entwicklung in Fernost und stand dem niederländischen Kolonialministerium wiederholt als Berater zur Seite. Sein Vorschlag, in einem Brief des niederländischen Königs dem Shogun gewissemaßen „von Herrscher zu Herrscher“ die Öffnung des Landes anzuraten, wurde allerdings vom zuständigen Ministerium abgelehnt.
Neue Handelsverträge mit Holland bewirkten auch eine Aufhebung des Verbannungsurteils, und so konnte Siebold im Jahr 1859 zu einer zweiten Japan-Reise aufbrechen. In Begleitung seines 13jährigen Sohnes Alexander, der später als Diplomat in die Fußstapfen seines Vaters treten sollte, traf Siebold nach 30jähriger Abwesenheit erneut in Nagasaki ein. Noch einmal legte er einen botanischen Garten an, unterrichtete japanische Freunde, arbeitete an einem japanischen Wörterbuch und vermittelte zwischen dem Kaiserhof und den europäischen Mächten. Auch seine japanische Lebensgefährtin Sonogi traf Siebold wieder, ihre gemeinsame Tochter war von seinen Schülern in westlicher Medizin unterrichtet und als erste japanische Ärztin tätig geworden. Neider in der niederländischen Regierung veranlassten Siebolds Rückberufung und so kehrte der Arzt und Naturforscher mit einer zweiten umfangreichen Sammlung nach Würzburg zurück, die später auf Wunsch des bayerischen Königs ins Völkerkundemuseum nach München gelangte. Zu einer dritten Japan-Reise sollte es nicht mehr kommen, denn bevor Siebold, von Napoleon III. nach Paris eingeladen, die Betreuung einer geplanten französisch-japanischen Handelsgesellschaft übernehmen konnte, starb er 1866 an einer Blutvergiftung und wurde in Alten Südlichen Friedhof in München beigesetzt.
Philipp Franz von Siebold (1796-1866):
* 17. Februar 1796 in Würzburg als Sohn des Prof. Georg Christoph Siebold
1798 Tod des Vaters
Erziehung bei seinem Onkel Pfarrer Lotz, dann Lateinschule in Würzburg
1809-15 Altes Gymnasium in Würzburg
1815-20 Medizinstudium in Würzburg
1820 medizinische Prüfung und Promotion in Würzburg
1820-22 niedergelassener Arzt in Heidingsfeld
1823-29 erster Japanaufenthalt; Geburt der japanischen Tochter Ine
Nach 1830 wissenschaftliche Bearbeitung der japanischen Pflanzen und Objekte in Leiden; Beratertätigkeit für das niederländische Kolonialministerium
1832 Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Würzburg
1847-53 Boppard am Rhein
1849 Oberst im Generalstab des Niederländisch-Indischen Heeres
1853-59 Bonn
1859-1863 zweiter Japanaufenthalt in Begleitung des Sohnes Alexander
1864 Übersiedlung nach Würzburg
1865 Reise nach Paris und Plan einer dritten Japanreise
+ 18. Oktober 1866 in München
verheiratet mit:
Sonogi Otaki Kusumoto
Helene von Gagern
Kinder:
Ine Kusumoto
Heinrich von Siebold